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1870/71 – französische Kriegsgefangene in Schwerin

Verhältnis zur Schweriner Bevölkerung

"Eine dichte Hecke an Zuschauern"

Die Schweriner Bevölkerung zeigte sich recht neugierig auf die unfreiwilligen Neuankömmlinge in der Stadt, und Empathie mit ihrem Schicksal schlug sich auch in der Presse nieder. Die "Rostocker Zeitung" berichtete über deren am 20. September 1870 erfolgte Ankunft: "Es waren nicht, wie früher angegeben wurde, 1200, sondern etwa 1550 Mann, die halb zehn Uhr in einem langen Zuge durch eine dichte Hecke von Zuschauern über den Wilhelmsplatz durch die Wismarsche und Rostocker Straße nach der Artillerie-Caserne geführt wurden. Den Zug eröffneten und schlossen einige Gendarmen zu Pferde und einige Fackelträger, die Wachmannschaften bestanden aus schlesischer Landwehr und unseren Jägern. In dem langen Zuge der Gefangenen befand sich auch eine Anzahl Zuaven und Turkos diese sowohl als die französischen Soldaten sahen in hohem Grade reducirt aus, was wohl dem Bivouakiren seit dem 1. d. M. und der mehrtägigen Eisenbahnfahrt beizumessen ist"

Foto des Zeltlages und eines Fachwerkhauses (zweifarbig in Sepia-Färbung)
Landeshauptarchiv Schwerin, Fotobestand Heinrich Krüger, Franzosenlager, 13.1-1/1, Verschiedenes, Nr. 5 Einheimische Schaulustige (links im Bild) beim Zeltlager Kaninchenwerder

Kleine Dienste und Verkauf von Handarbeiten

Die gefangenen Elsässer und Lothringer erhielten bei guter Führung das Privileg, sich zur Arbeit bei Handwerksbetrieben zu melden. Auch kleine häusliche Dienstleitungen, z.B. Wasserholen oder Zeugausklopfen boten manche gegen ein wenig Geld der einheimischen Bevölkerung an. Hierbei entstanden teilweise persönliche Kontakte, im Falle von weiblicher Sympathie für die gefangenen Männer wetterten Zeitungsredakteure gegen "Franzosolinentum".

Mecklenburgische Zeitung, 27.9.1870

"In einer schweriner Correspondenz des 'Rostocker Tagesblattes' wird gesagt: „nur die Gassenjungen der Residenz nehmen Notiz von den hier internirten Franzosen“. Die Behauptung ist in dieser Beschränkung leider durchaus nicht zutreffend. Von den verschiedensten und zuverlässigsten Seiten werden uns im Gegentheile Klagen darüber zugetragen, daß den Franzosen vielfach eine höchst unschickliche Aufmerksamkeit zugewendet werde, daß man über dem Hätscheln der Kriegsgefangenen die Theilnahme vergesse, welche man den blutverwandten deutschen Landwehrmännern, die unseretwegen aus dem Kreise ihrer Familien gerissen sind, schulde. Boshafte Leute wollen Damen gesehen haben, welche Franzosen Süßigkeiten gereicht, wie man in zoologischen Gärten etwas Affen füttert und brauchen böse Ausdrücke über solches Benehmen, welches an Schwerinern auf dem Kaninchenwerder und an der Caserne vor dem ostdorfer Thore beobachtet worden. Wir wollen uns genügen lassen daran zu mahnen, daß in so ernster Zeit Niemand der Neugierde allzu sehr die Zügel schießen lassen sollte und daß es eine von der Wohlanständigkeit gezogene Grenze gibt für die Aeußerung menschlicher Theilnahme, auf welche der kriegsgefangene und darum immerhin bedauernwerthe Fremdling Anspruch hat."

Rostocker Zeitung, 22.3.1871 (aus Schwerin)

"In voriger Woche stand der Verkauf der von den Franzosen geflochtenen Sachen statt. Dieselben bestanden in Binsenmatten, kleinen und größeren Handkörben u. drgl. m. Am ersten Verkaufstage stellten sich die Gefangenen mit ihren Sachen auf dem altstädtischen Markt auf, und der Verkauf ging recht gut von Statten, obgleich die Preise gegen hier übliche ziemlich hoch notirt waren. […] Entschiedenes Unglück hatten die Franzosen mit den ausgeschnitzen Schiffen. Es stellen dieselben Schiffe verschiedene Gattungen dar, als: Fregatten, Ein- und Dreimaster u.s.w. Die Fahrzeuge waren auf das Sorgfältigste ausgearbeitet und mit voller Takelage ausgerüstet. Es fehlte selbst den größeren Schiffen kein Haken, kein Seil. Offenbar waren sie von den Marinesoldaten angefertigt. Zu diesen Spielereien wollte sich kein Liebhaber finden. […]"

Farbige Zeichnung
Handzeichnung von Theodor Schloepke, SSGK Staatliches Museum Schwerin Zeltlager auf Kaninchenwerder

Bücher für die Gefangenen

Rostocker Zeitung, 15.9.1870 (aus Schwerin)

"Mit Hülfe einer Zahl literarisch gebildeter Männer und Frauen, vieler Schüler des Gymnasiums und besonders auch der Buchhändler Herrn Hildebrand und Schmiedekampf, sowie das Rentiers Herrn Kahl ist zunächst für [das] hier für 300 Verwundete eingerichtete Reserve-Lazareth, später aber für das hiesige Garnision-Lazareth eine aus 500 Bänden (450 deutsche und 50 französische Bücher) bestehende Lazareth-Bibliothek zusammengebracht und in einem dazu vom Militair-Dapartement gelieferten großen Schrank aufgestellt worden. Der Mühe der Sammlung, Katalogisierung und Aufstellung hat sich Herr Oberlehrer Dr. Hager unterzogen. Augenblicklich ist ebenderselbe mit der Sammlung einer französischen Bibliothek zum etwaigen Gebrauch der demnächst hier eintreffenden französischen Gefangenen beschäftigt."

Bild
Rostocker Zeitung Mahnung zum deutschen Nationalstolz (Leserzuschrift) gegenüber Frankreich und England

Gottesdienst für die Gefangenen

Mecklenburgische Zeitung, 8.10.1870

Schon vor einigen Wochen ist […] dem hiesigen katholischen Geistlichen von dem Ministerium für geistliche Angelegenheiten gestattet worden, für die französischen Kriegsgefangenen in der Artilleriecaserne wie auf dem Kaninchenwerder an Sonntagen wie an Wochentagen Gottesdienst und Messe zu halten. – Evangelische befinden sich nach bisherigen Ermittlungen unter den Kriegsgefangenen nur vier oder fünf.