- Dr. Kerstin Dann, geboren 1969 in Prenzlau
- Ärztin und Psychotherapeutin
- heutiger Wohnort: Pinnow
- Interview: Emil Nurian Antonioli, Julius Leander Holst, Raphael Jago Radant, Maximilian Zeglin
Über die Informationslage in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die von 1949 bis 1990 existierte, sagt Kerstin Dann: “Es gab die offiziellen Medien, wie Zeitungen, die nur Zeitungsdeutsch und kaum Informationen enthielten und die inoffiziellen, die aber verboten waren.” Das Leben in dem sozialistischen Staat war geprägt von politischer Kontrolle und eingeschränkten Freiheiten. Man unterhielt sich vor allem innerhalb der Familie über politische und gesellschaftliche Themen und schaute gemeinsam Westfernsehen. Doch die gesellschaftlichen Veränderungen unter Michail Gorbatschow in der Sowjetunion gingen auch an der DDR nicht vorbei. In der Schule von Kerstin Dann gab es eine Russischlehrerin, die Parteisekretärin war und somit großen politischen Einfluss hatte. Mit ihr lasen die Schüler den "Sputnik", ein Veränderungen gegenüber interessiertes sowjetisches Magazin.
Wendezeit
Im Jahr 1988 legte Kerstin Dann ihr Abitur ab. “In meiner Jugend war ich sehr engagiert, weil man, um zu studieren, gesellschaftlich aktiv sein musste, das war Voraussetzung, um einen Studienplatz zu bekommen.” Deshalb war sie z.B. Mitglied in einem Singeklub. Aber auch kirchlich war sie in der Jungen Gemeinde engagiert, was staatlicherseits nicht gern gesehen war. Ihr heutiger Mann hatte eine kirchliche Jugendgruppe gegründet, deren Mitglied sie wurde.
Im Herbst 1989 begann Kerstin Dann ihr Medizinstudium an der Charité in Berlin. Doch sie hatte große Zweifel, “weil ich kein Nischendasein in dieser DDR führen wollte, sondern ich mich irgendwie der Gesellschaft und der Veränderung in der Gesellschaft zur Verfügung stellen wollte.” Deshalb gab sie ihr Studium auf und begann ein Praktikum in der evangelischen Stadtjugendarbeit in Schwerin. Dort wurden die Friedensgebete mitinitiiert und vielen jungen Menschen eine nichtstaatliche gesellschaftliche und politische Beteiligung ermöglicht. Kerstin Dann nahm nun vermehrt an Veranstaltungen und Friedensdemos und wurde Mitglied der Partei “Demokratischer Aufbruch”, die auf eine im August 1989 in Ost-Berlin gegründete Initiativgruppe mit überwiegend kirchlichen Vertretern zurückging.
Am 2. Oktober war Kerstin Dann mit in der Schweriner Paulskirche: „Ich konnte mir eine reformierte DDR vorstellen“. Sie hatte keine Angst, zu der Veranstaltung zu gehen: „Ich war nicht in meiner Heimatstadt, deswegen glaube ich war ich ein bisschen unbefangener (...) Ich hatte auch nicht viel zu verlieren“.
Die Paulskirche war sehr voll, es herrschte eine leise, angespannte Atmosphäre, verbunden mit dem Gefühl, dass sich etwas Neues und Hoffnungsvolles entwickeln könnte. Die Anwesenden waren diszipliniert und bemühten sich, keine Gewalt zu provozieren. Die Menschen zeigten Mut, trotz der Präsenz von Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes, die versuchten, Redezeiten zu kontrollieren und die Stimmung zu manipulieren.
Den Tag des Mauerfalls erlebte Kerstin Dann in Schwerin. Der Bruder ihres jetzigen Mannes war kurz zuvor mit nur 17 Jahren an Leberkrebs gestorben. Vom Mauerfall erfuhr sie durch das Fernsehen. Schon als Kind hatte sie vom Reisen geträumt, sich im Geographieunterricht überlegte, ob sie ferne Länder einmal zu Gesicht bekommen würde. Aber am meisten “gefreut habe ich mich tatsächlich auf Bücher. Das war auch mein erster Weg, als ich dann im Westen war, in eine Buchhandlung zu gehen”, da die Literatur in der DDR zensiert war.
Auf die Frage, ob mit dem Mauerfall viele Probleme der DDR gelöst wurden, antwortet Kerstin Dann: “Sicher, es ist ein demokratischer Staat geworden. Wir haben wirtschaftlich so einen Aufschwung erlebt. Wir haben solche Entwicklungsmöglichkeiten jetzt. Das war gut für meine Generation.” Die Wiedervereinigung habe sie nicht direkt gewollt, nur Veränderung im System. Zudem ging ihr die Wiedervereinigung zu schnell, wodurch die DDR einfach nur Teil der BRD und der Osten schlichtweg aufgekauft wurde. Das Gefühl von Ost und West, die psychologische Trennung der Menschen, war eine Hürde nach dem Mauerfall. Die jeweils anderen waren ja immer als Feind dargestellt worden. Diese Spaltung hätte man aufarbeiten müssen, bevor man sich zu einem Staat zusammenschließt.
Auf die Frage, wie engagiert sie die Jugend von heute sehe, sieht Kerstin Dann viel Potential, vor allem durch die vielen Informationen, die jungen Menschen zu Verfügung stehen. Sie sieht aber auch kritisch, dass sich viele nicht kritisch mit Quellen auseinandersetzen und Informationen ungeprüft für wahr halten. In sozialen Netzwerken komme es zu einseitigen Informationen durch Algorithmen, die erkennen was einem gefällt und dann nicht anderes mehr vorschlagen. "Die Jugend muss sich insgesamt mehr in Parteien beteiligen oder in soziale Vereine eintreten, um die Demokratie zu bewahren." Sie ermutigt zu Demonstrationen gegen die rechte Bewegung, seine Stimme mutig gegen rechte Ideologie zu erheben. Man dürfe dabei nicht vergessen, dass man sich auch langfristig mit Politik beschäftigen muss und vorrausschauend denken sollte. Die heutige Demokratie sei gefährdet, wenn
sich demokratische Parteien nicht einig werden und populistische, antidemokratische Kräfte mit vermeintlich einfachen Lösungen Zustimmung gewinnen.