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Neues Forum Schwerin - Sonderausstellung Raum 2

Elisabeth Wellingerhof

Befragung der Zeitzeugin

Interviewgruppe beim Interview mit Elisabeth Wellingerhof
Dr. Ulrike Petschulat Interviewgruppe beim Interview mit Elisabeth Wellingerhof
  • geboren 1928 in Belitz bei Güstrow
  • Beruf 1989: Katechetin an der St. Paulskirche 
  • heutiger Wohnort: Schwerin
  • Interview: Jette Gräfe, Tooske Koppelmann, Elen Liebenow, Helena Reinke

„Na ja, mein Mann war ja Pastor und wir waren von Anfang an nicht für die DDR. Und man musste immer in einem gewissen Widerstand leben, weil wir wussten, wir waren bei denen nicht so sehr beliebt.“ Weil ihr Mann nach dem Zweiten Weltkrieg Landesjugendpastor war, fühlte sich Elisabeth Wellingerhof sehr gefährdet, besonders bis zum 17. Juni 1953. Immer, wenn es an der Tür klingelte, war ihre Sorge groß, dass sie und ihre Familie von der Regierung verhaftet würden. Es war in der DDR üblich, die Kinder in die Jungpionier-Organisation eintreten zu lassen. Dennoch waren die Kinder der Wellingerhofs keine Pioniere – als Einzige in der Klasse, was zu Ausgrenzung führte. 

„Auch die Wahlen standen unter gewisser Beobachtung: Aber der Anfang in der DDR-Zeit war so, dass wenn man bis um fünf nicht bei der Wahl war, einen Zettel 'Sie sind immer noch nicht bei der Wahl gewesen' kriegte. Das war Zwang, man musste zur Wahl gehen. Und ja, ich hab dann immer alles irgendwie ungültig gemacht oder 'Nein' draufgeschrieben oder so was.“

Die 96-Jährige berichtet von der Arbeitspflicht in der DDR und dem damit verbundenen Fehlen von Arbeitslosigkeit. Mit der verdienten DDR-Mark konnte man zwar keine Bananen und Apfelsinen im Supermarkt erwerben, dennoch sagt sie: „Man hatte genug zu leben.“ Zusätzlich war es in staatlichen Betrieben verpflichtend, Angaben zu ihren Verwandten und Bekannten im  Westen zu machen. „Man hatte den Behörden mitzuteilen, wenn man zu diesen Leuten aus dem Westen Kontakt hatte.“

Elisabeth Wellingerhof mit ihrer Schwägerin Hanna vor dem Domportal Schwerin, 1981
Privat Elisabeth Wellingerhof mit ihrer Schwägerin Hanna vor dem Domportal Schwerin, 1981

Wende- und Übergangszeit

Am 2. Oktober 1989 erfuhr Elisabeth Wellingerhof, dass in Schwerin irgendetwas los sein soll.

"Ich wusste, dass das gefährlich ist. Ja, das hatte sich so rumgesprochen. Wenigstens bin ich zu der Versammlung im Gemeindehaus der Paulsgemeinde auf Umwegen hingegangen und voller Ängste. Das Gemeindehaus war zu klein, deshalb wurde die Versammlung des Neuen Forums in die Paulskirche verlegt. Weil die Redner erzählten, dass sie bedroht waren und dennoch die Versammlung geleitet haben, bewunderte ich sie für ihren Mut."

Drei Wochen später fand die große Demonstration statt. Sie trafen sich zunächst mit Kerzen im Dom, dann auf dem Alten Garten, beim Theater und die vom Staat bestellten Demonstranten an der Siegessäule. Elisabet Wellingerhof  nahm nicht an der Demonstration teil, weil sie die Enkel hüten sollte, damit ihre Kinder teilnehmen konnten. "Andere sagten unseren Kindern, sie sollen weggehen. Das wäre hier zu gefährlich. Man redete sogar davon, dass Polizei oder Geheimdienst vielleicht aus dem Fenster schießen würde und dass da irgendwo Waffen bereitlägen. Aber man wusste es nicht so genau. Und die Leute  zogen dann alle durch die Straße und einige schrien unter anderem 'Stasi raus!, Stasi raus!'"

Die Wende war für viele ein Augenblick voller Zuversicht, Hoffnung und Freiheit. "Das Gefühl am Tag der Maueröffnung kann man gar nicht beschreiben. Ich habe bei meinen Enkeln, die gerade zu Besuch waren, immer gesagt: Die Mauer ist auf, die Mauer ist auf! Daran werden wir lange denken.“

Jedoch kamen durch die Öffnung die Lebensziele vieler Menschen plötzlich durcheinander, den Mauerfall hätten sie nie erwartet. So brachte die Wende auch „einige Ungereimtheiten“ mit sich.

"Ich erinnere mich, dass eine Frau aus Schwerin in der Nähe ein altes Fachwerkhaus kaufen wollte und kurz vor dem Abschluss des Kaufvertrages stand. Darüber war sie sehr glücklich. Dann kam jemand aus dem Westen und bot den doppelten Kaufpreis und erhielt das Haus. Ein weiteres Problem der Wende war, dass sich viele Betriebe nicht mehr rentierten und viele aufgelöst wurden. Die Leute wurden dann alle arbeitslos. In Sachsen war es besonders schlimm!“

Während der Wendezeit verloren Millionen an Ostdeutschen vorübergehend oder auf Dauer ihre Tätigkeit und mussten sich umschulen lassen. Die Wende war also eine Zeit, die nicht nur Freudentränen mit sich brachte, sondern auch viele Tränen der Trauer.

Bild
Privat Elisabeth Wellingerhof spricht öffentlich über ihre Erinnerungen, 2019
Und heute?

„Was die vom Neuen Forum so wollten, war ja eigentlich mehr die Verbesserung des Sozialismus."

Wir fragten Frau Wellingerhof, inwiefern sich die DDR von der heutigen Zeit unterscheiden würde, worauf wir eine interessante, aber auch wichtige Antwort zur Verbesserung unserer heutigen Gesellschaft erhielten.

„Was die vom Neuen Forum so wollten, war ja eigentlich mehr die Verbesserung des Sozialismus. Früher war es selbstverständlich, dass die Kinder in den Kindergarten kamen und dass genug Plätze da waren und dass die Frauen arbeiten konnten, heute ist dies nicht immer so. Die Mangelwirtschaft zwang jeden auch dazu, dass man Freunde haben musste, die einem halfen, wie z.B. Handwerker, die gegenseitige Hilfe war dadurch sehr viel größer. Besonders im Vergleich zur heutigen Zeit."

Mit Blick auf heute betonte Frau Wellingerhof eine anhaltende Kluft im Gehalt zwischen Ost und West. Denn noch immer, nach knapp 35 Jahren, wird im gleichen Beruf im ehemaligen Osten weniger verdient als im ehemaligen Westen. Etwas, was derzeit Millionen ostdeutschen Einwohnern das Leben nicht leichter macht, obwohl das „Ost- West“ schon längst aufgegeben ist.