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Neues Forum Schwerin - Sonderausstellung Raum 1

Martin Klähn

Zeitzeugenbefragung

Martin Klaehn mit einem Mirkofon in der spricht auf einer Veranstaltug
privat Martin Klähn, Aufnahme aus dem Jahr 2015
  • geboren 1959 in Crivitz
  • Pädagogischer Mitarbeiter bei Politische Memoriale e.V.
  • heutiger Wohnort: Schwerin
  • Interview: Ronja Deparade, Annalena Fentzahn, Johanna Frida Heinze, Gustav Kowalski

Martin Klähn war zusammen mit Uta Loheit und Thomas Littwin Mit-Veranstalter des Treffens am 2. Oktober 1989 in der Schweriner Paulskirche, auf das die Gründung des Neuen Forums zurückgeht.

Je älter er wurde, um so mehr lehnte er die DDR ab: "Meine Meinung, meine Einstellung zur DDR hat sich über die Jahre verändert.” Klähn beschreibt die DDR als militärisch und später während seiner Schul-, Ausbildungs- und Armeezeit als übergriffig und diktatorisch. “Alle sollten ein der SED-Ideologie entsprechendes Weltbild, Meinung oder Einstellung, besitzen. Dies wurde ständig abgefragt und man sollte sich zur DDR, zur Partei SED und zum Sozialismus positiv äußern. Wenn man das nicht tat, konnte man oft nicht studieren bzw. keine Karriere machen. Dies führte bei vielen Menschen zu etwas schizophrenem Verhalten: eine offizielle Meinung und eine private.” Klähn erzählt von Kollektivstrafen in der DDR. Hatte man sich "falsch" verhalten, so wurde die gesamte Gruppe mitbestraft. Die Folge: Jeder der Gruppe passte auf, dass keiner sich danebenbenimmt.

Klähns Ablehnung wandelte sich in politisches Aktivwerden: “Meine [...] Motivation war eine grundlegende Umgestaltung der DDR, einen Reformprozess auf den Weg zu bringen, der aus der DDR erst den progressiven Staat macht, der er vorgibt bereits zu sein.”

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Foto: Volker Jennerjahn, Nutzungsrecht: Der Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur MV Demonstration am 23.10.1989, Werderstraße, Schwerin (Martin Klähn mit Transparent)

Politische Stationen bis 1989

Martin Klähns politisches Leben prägte zunächst die Mitarbeit in der kirchlichen Friedensgruppe in Cottbus während des Studiums 1982/83. Später folgten Kontakte zur Umweltbibliothek (UB) in der Ostberliner Zionskirche ab 1986, verbunden mit einer Mahnwache zur Freilassung von Inhaftierterten aus der UB im November 1987, ab 1987 auch die Mitarbeit an einer Untergrundzeitung in Schwerin, die Organisation von Treffen alternativer westdeutscher Journalisten und DDR-Oppositioneller sowie eines DDR-weiten Treffens des Freundeskreises Wehrdiensttotalverweigerer in Schwerin, die Teilnahme an einem Lesekreis mit Diskussionsrunden, die staatskritische Teilnahme an der Berliner Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 1988 und schließlich die Gründung des Neuen Forum.

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Foto: Lothar Steiner Demonstration auf dem Alten Garten in Schwerin, 23.10.1989. Links vorne: Martin Klähn
2. Oktober 1989: Die Gründung des Neuen Forums in Schwerin

„Lasst uns etwas machen, aktiv werden, anfangen!“

„Ich hatte keine Angst. Ich war davon überzeugt, dass die Zeit der Diktatur vorbei ist und das wir jetzt den Reformprozess, so wie wir ihn im Aufruf des Neuen Forum skizziert hatten, beginnen können. Auch die Leute in meinem Umfeld hatten zu diesem Zeitpunkt keine Angst mehr.“

Entschied man sich dafür, Teil der Initiative vom 2. Oktober 1989 zu werden, waren damit Risiken und Opfer verbunden. Die oppositionelle Arbeit beansprucht viel Zeit. Zeit, die man anderweitig, beispielsweise mit der Familie, hätte verbringen können. Zudem blockierte man sich Möglichkeiten für seine berufliche Karriere. Am Arbeitsplatz konnte es zu Problemen mit der Staatssicherheit oder anderen staatlichen Stellen kommen. Als Folge für "staatsfeindliche" Handlungen drohte Gefängnisstrafe. Trotzdem kann von großer Beteiligung und Bereitschaft von seitens der Schweriner Bevölkerung gesprochen werden.

Zur Veranstaltung am 2. Oktober 1989 in der Paulskirche wurden Listen vorbereitet. Wer sich dort eintrug, bekundete die Mitarbeit im Neuen Forum. Es kamen Fragen auf: Was machen wir jetzt? Die Leute begannen, zu diskutieren und Arbeitsgruppen zu bilden.

Martin Klähn beschreibt eine erwartungsvolle Atmosphäre mit großer Hoffnung und Begeisterung. Die Aufbruchstimmung sei in der Paulskirche am 2. Oktober 1989 deutlich zu erkennen gewesen. „Ich bin sehr euphorisch nach diesem Abend nach Hause gegangen. „Jetzt fangen wir an!“, habe ich gedacht.“

Arbeitsgruppen des 2. Oktober '89

Zu den in der Paulskirche gebildeten Initiativen und Gruppen zählten:

  • eine Gruppe, die an einer neuen Verfassung für die DDR arbeitete,
  • eine Gruppe, die das Schulsystem in der DDR verändern wollte und einen Entwurf für ein neues Schulgesetz erarbeitete,
  • eine Gruppe, die über notwendige Veränderungen des DDR-Wirtschaftssystem sprach,
  • mehrere Gruppen, die allgemein über anstehenden Reformen sprachen, beispielsweise die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit
  • eine Gruppe, die sich mit ökologischen Fragen beschäftigte
  • eine Gruppe, die ein Stadtteilzentrum in der Pauls-Stadt aufbauen wollte,
  • mehrere Gruppen, aus denen soziale Initiativen entstanden.

Ungewisser Übergang

Chancen und Herausforderungen

„Dankbar bin ich darüber, dass die Friedliche Revolution wirklich friedlich geblieben ist."

Martin Klähn war am Abend des Mauerfalls mit Freunden im Staatstheater, um die anstehende Montagsdemo für Schwerin zu planen. Als sie dann in einen Nebenraum traten, um zu schauen, warum jemand gerufen hatte, sahen sie auf einem kleinen Fernseher Aufnahmen der Bornholmer Brücke in Berlin: „Zunächst: Jubel und ein unglaubliches Triumphgefühl – das haben wir geschafft! Und dann die Frage: Wozu brauchen wir jetzt noch eine Montagsdemonstration, da kommt doch niemand mehr? Es war ein etwas ambivalentes Gefühl.“

„Am 11.11.1989 gab es in Ost-Berlin ein DDR- weites Folgetreffen des Neuen Forum. Auf diesem Treffen herrschte Verwirrung. Was machen wir jetzt? Entscheidung: Wir arbeiten weiter mit den Arbeitsgruppen. Unser Ziel ist die Reform der DDR. (Die Wiedervereinigung war noch kein Thema. Das kam später.) Es wurde eine Zeitung – ’Die Andere‘ – gegründet. Am 11.11.89 bin ich das erste Mal in den Westen gefahren, also nach West – Berlin und habe mich mit Freunden getroffen, die dort wohnten.“

Nach der Wende kündigte Martin Klähn seinen Job als Bauingenieur und der Betrieb, in dem er arbeitete, wurde von der Behörde „Treuhand“ aufgelöst. Im Jahr 1990 arbeitete er dann für das Neue Forum. Ab 1991 baute Martin Klähn ein Bildungswerk für politische Bildung, für den Deutschen Gewerkschaftsbund. “Insofern hat sich mein Alltag komplett verändert, aber es war nicht geplant. Es ist passiert.”

Fragen der Wendezeit

“Werden wir unsere Arbeit behalten? Und wenn nicht, was machen wir dann? Können wir in dem Haus, in welchem wir wohnen, wohnen bleiben? Was ändert sich an der Schule unserer Tochter? Was können wir uns von dem neuen Geld leisten? Wieviel kostet jetzt die Miete? Wie geht es jetzt weiter mit der Krankenversicherung? In der DDR gab es eine Sozialversicherung für alle. Bei welcher Bank soll man jetzt sein Konto einrichten?”

Ambivalenz der Wendezeit

„Die Chance ist: Ich kann aus meiner alten kaputten Wohnung ausziehen. Die Herausforderung: finde ich etwas – und kann ich das bezahlen?

Die Chance ist: Ich muss meine alte Arbeit nicht mehr machen. Die Herausforderung: Hier gibt es keine Arbeit. Ich muss umziehen. Wohin? Was kann ich denn jetzt arbeiten? Meine DDR- Berufs- und Studienabschlüsse werden nicht anerkannt.

Also, Chancen und Herausforderungen liegen manchmal dicht beieinander.“

Und die Zukunft?

„Bildung spielt eine große Rolle“

Mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft meint Martin Klähn, dass es schwieriger sei, aktiv zu werden. Man müsse als Jugendliche/r herausfinden: „Was ist wichtig? Was will ich? Für was bin ich und wogegen bin ich? Für was soll ich mich einsetzen und wie? Wem soll ich glauben und wem nicht? Woher beziehe ich meine Informationen? Woher bekomme ich Orientierung? Wie entwickele ich Kriterien, um darauf Antworten geben zu können?“

Weiterhin spricht er über Ideen, die von Jugendlichen übernommen und diskutiert werden könnten. Verschiedene Lösungen müssten ausprobiert werden. Mögliches Scheitern dürfe nicht abschrecken.

Bildung sollte im Zusammenspiel von Jugendlichen und Eltern und Lehrenden als fortwährender Prozess stattfinden.

Die  Demokratie scheint Martin Klähn gefährdet, denn keiner könne sich die Zukunft vorstellen. Daher hätten viele Sehnsucht nach der Vergangenheit, die darauf ziele, dass alles so werde, wie es früher war: Keine Globalisierung, keinen Euro, keine EU, keine Flüchtlinge usw.