- geboren 1952 in Hannover
- Beruf 1989: Pastor an der Schweriner St. Paulskirche
- heutiger Wohnort: Dobin am See
- Interview: Aaron Arvid Benthin, Malte Alexander Rannefeld, Tjark Jonathan Studt
Martin Scribas Mutter bekam keinen Zuzug in die DDR genehmigt, was dazu führte, dass er kurz nach seiner Geburt in ein Dorf nahe Eisenach kam, in dem sein Vater Pfarrer der Gemeinde war. Später zog der Vater mit ihm in die Stadt Zella-Mehlis. Dort besuchte Martin Scriba die Erweiterte Oberschule und bestand sein Abitur mit einem Einser-Schnitt. Dies ging allerdings nicht ohne Hindernisse vonstatten, denn als Pfarrersohn schränkten ihn die materialistischen Vorgaben des sozialistischen Staates DDR stark ein.
“Mein Mathematiklehrer wollte, dass ich Mathematik studiere. Aber etwa in der 11. Klasse begriff ich, dass das Leben nicht in einer Formel aufgeht. So habe ich mich dann in der 11. Klasse entschieden, Theologie zu studieren, auch, weil ich vielen meinen christlichen Glauben betreffende Fragen auf den Grund gehen wollte.“ Damit waren Schwierigkeiten in der Schule vorprogrammiert. Seine Lehrer sollten auf Anweisung des Schulleiters seinen Schnitt manipulieren. Der ihm wohlgesonnene Mathematiklehrer begleitete jedoch seine Prüfungen als Beisitzer und passte auf. So bestand Martin Scriba sein Abitur gegen den Willen der Schulleitung mit Auszeichnung. Sein Mathelehrer jedoch musste die Schule verlassen und unterrichtete fortan Mathematik an einer Grundschule.
Während des Theologiestudiums in Jena kam Martin Scriba mit der Friedensbewegung in Berührung. Nach dem Vikariat in Saalfeld übernahm er seine erste Pfarrstelle in Altendorf bei Jena. Unter dem Motto der ostdeutschen Friedenbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ traf sich in seinem Pfarrhaus der „Altendorfer Friedenskreis“ – ein Konvent von ca. acht Pfarrern, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, an verschiedenen Orten der DDR die Deligiertentreffen “Konkret für den Frieden“ der oppositionellen Basisgruppen zu organisieren.
Pastor der Paulskirche
“… und weil die DDR sich als ein Staat verstanden hat, der sich der marxistisch- leninistischen Weltanschauung verschrieben hatte und deswegen auch immer antikirchlich agiert hat, war ich kein Freund dieses Staates.”
1986 wechselte Martin Scriba nach zehn Jahren seinen Dienstort und übernahm eine Stelle an Schweriner St. Paulskirche. Er war dort geschäftsführender Pastor, als das Neue Forum an ihn herantrat und bat, die Kirche als Versammlungsraum nutzen zu dürfen. Der Kirchgemeinderat lehnte dies mit knapper Mehrheit ab. Man einigte sich darauf, dem Neuen Forum das Gemeindehaus für seine Gründungsversammlung zur Verfügung zu stellen. Dieses lag etwa einen halben Kilometer von der Kirche entfernt in der Bäckerstraße 2.
Am 2. Oktober 1989 wurde Martin Scriba in das Rathaus beordert. Dort redeten zwei Beamte, einer stellvertretend für den Bürgermeister und ein Beamter vom Ministerium für Staatssicherheit, auf ihn ein. Die beiden sagten, er müsse die für den Abend geplante Veranstaltung absagen, da er sich sonst strafbar machen würde. Scriba erwiderte, dass er unter den gegebenen Umständen den Rechtsvorschriften der DDR nicht folgen könne, worauf der Stasioffizier ihn anbrüllte, er müsse dafür dann die Konsequenzen tragen. Martin Scriba antwortete, dass es zum christlichen Glauben gehöre, für Konsequenzen einzustehen. Daraufhin brüllte der Offizier: „Sie müssen hier nicht den Märtyrer spielen!“ Scriba entgegnete, er könne das Treffen des Neuen Forums nicht verhindern, da die Leute quasi schon dorthin unterwegs seien.
Am Abend, eine dreiviertel Stunde vor Veranstaltungsbeginn, war das Gemeindehaus so überfüllt, dass viele schon auf der Straße standen. Nach einem Schnaps beim Küster der Gemeinde zur Beruhigung beschloss Scriba, zum Umzug der Versammlung in die Kirche einzuladen. Auf dem Weg dorthin bemerkte er, dass in den Häusereingängen jeweils immer zwei Stasi-Mitarbeiter standen.
Die Versammlung verlief friedlich und es folgte keine Eskalation. Am nächsten Morgen jedoch wurde Scriba von der Stasi abgeholt, die ihn ins Arsenal, die damalige Dienststelle der Bezirkspolizei, brachte. Er wurde durch lange dunkle Flure geführt, so dass er nicht wusste, wo er war, als er schließlich von einem hoch dekorierten Beamten verhört wurde. Es wurde ein Ordnungsstrafverfahren eröffnet, das aber in den “Wende-Turbulenzen” unterging.
Der Mauerfall am 9. November 1989 war für Martin Scriba wie für viele Menschen ein überraschendes Ereignis. “Ich wollte es nicht glauben”, erinnert sich Scriba. "Dass die Mauer so schnell und quasi lautlos fällt, das habe ich nicht für möglich gehalten.‘‘ Nach dem Mauerfall wollten viele Menschen in den Westen, auch um sich ihr Begrüßungsgeld abzuholen. "Es war ein Hype", sagt Scriba. Die Schulen standen leer und die Straßen waren überfüllt mit Autoschlangen Richtung Grenze. Doch seine Familie entschied sich abzuwarten, bis sich der erste Ansturm beruhigt hatte.
Die Wende brachte nicht nur Hoffnung, sondern auch große Unsicherheiten mit sich. Niemand wusste, wie es weitergehen würde und ob die Grenze wieder geschlossen würde. Trotz der Unsicherheit hoffte der Theologe auf neue Perspektiven für das Gemeinwesen im Osten. Als Pastor war er in einer besonderen Position. Während viele Menschen sich neue Jobs suchen mussten, blieb sein Arbeitgeber die Kirche. Aber es standen neue Aufgaben an. So kamen Kollegen aus dem Westen und drängten ihn, er müsse in der Paulsgemeinde eine Sozialstation gründen. Plötzlich die bisherigen sozialen Aufgaben des Staates zu übernehmen war komplett neu für die Kirchen in der DDR.
In der Übergangszeit moderierte er den Runden Tisch in Schwerin, an dem Vertreter des Neuen Forums und der Staatsverantwortlichen zusammenkamen, um das öffentliche Leben zu organisieren. Mit der Wiedervereinigung kamen weitere Veränderungen. 1999 wurde er beauftragt, für die evangelischen Kirchen in Mecklenburg und Vorpommern den Dialog zwischen Kirche und Staat zu führen. Über elf Jahre lang war er der Ansprechpartner für politische und kirchliche Angelegenheiten beim Landtag und bei der Landesregierung.
Später wurde Martiin Scriba Landespastor für die Diakonie in Mecklenburg-Vorpommern, zu welcher über 1000 Einrichtungen und Dienste mit ca. 15.000 Mitarbeitenden gehören.
Martin Scriba hofft, dass sich junge Leute auch heute aktiv für demokratische Verhältnisse in unserm Land einsetzen. Dafür gibt er Ihnen drei Wünsche mit auf den Weg: Er wünscht Jugendlichen, dass sie sich aktiv mit den Wendepunkten der deutschen Geschichte befassen um zu erkennen, was gut oder was schlecht gelaufen ist.
Er wünscht ihnen zweitens, dass sie in intakten Familienverhältnissen aufwachsen können, und gute Lehrer haben. Aus seiner eigenen Biografie weiß er im Rückblick, wie entscheidend Elternhaus und Schule für seine persönliche Entwicklung waren.
Und drittens wünscht er jedem Jugendlichen eine Gruppe, die ihn trägt, in der man Freunde und Gesprächspartner außerhalb des Alltags zu Hause und in der Schule findet, in der man ein Ohr findet für eigene, auch ganz persönliche Fragen und Probleme und die das eigene Sozialerhalten trainiert.
Dass sich in Deutschland wieder Zustände wie in der DDR ergeben könnten, bezweifelt Scriba. „Die DDR ist Geschichte.”, meint er und kann sich nicht vorstellen, dass in Deutschland wieder eine den Staat begründende kommunistische Bewegung zustande kommen werde. Eine durchweg kommunistische Gesellschaft “ist eine Illusion Sie war immer eine Illusion, und wer Realist ist, weiß, dass sie immer eine Illusion bleibt.” Allerdings sieht er die Demokratie in anderer Weise gefährdet. Auch heute noch können demokratische Strukturen wie zu Zeiten der Weimarer Republik ausgenutzt werden, Nationalisten an zur Macht kommen zu verhelfen. Mit Sorge sieht Scriba einen weltweiten Trend zu „Präsidialdemokratien“, in denen die Macht hauptsächlich bei einem zwar gewählten, dann aber aus eigener Machtfülle heraus autokratisch regierenden Präsidenten liegt. Parlamente spielen bei der Willensbildung kaum oder gar keine Rolle mehr.“ Ich glaube nicht daran, dass eine einzelne starke Person die Probleme einer ganzen Gesellschaft lösen kann. Das wird nicht funktionieren. Die Bundesrepublik Deutschland ist insofern ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen, als alle Staatsgewalt nicht von einer Einzelperson, auch nicht von einer bestimmten Klasse, sondern vom Volk ausgeht.“