Von Schwerin sind es rund 180 Kilometer Luftlinie nach Berlin, von Neustrelitz 100, von Stralsund 200 – die Reichshauptstadt als Zentrum des Kapp-Putsches lag auch vor 100 Jahren nicht weit entfernt.
Nicht nur die Nachricht vom Putsch wurde schnell per Telefon in den beiden mecklenburgischen Staaten und nach Pommern verbreitet. Auch einige der Akteure konnten an einem Tag von der Reichshauptstadt hierherkommen.
So machte der Schweriner Brigadekommandeur der Reichswehr, Generalmajor Paul von Lettow-Vorbeck, am ersten Tag des Putsches, dem 13. März 1920, in Berlin Station. Dort unterstellte er sich General Walther von Lüttwitz, der zusammen mit Wolfgang Kapp den Putsch anführte, und reist zurück nach Schwerin. Den gleichen kurzen Weg hatten auch die Offiziere des Freikorps Roßbach, die von Lettow-Vorbeck zur Unterstützung rief.
Zeitungen verbreiteten die Nachricht vom Sturz der Reichsregierung weiter, teilweise sogar noch am selben Tag wie "Das Freie Wort", eine in Schwerin erscheinende, sozialdemokratische Zeitung.
Mit der Nachricht vom Putsch begann auch der Widerstand, vornehmlich der Arbeiter, dagegen.
Das zeigt sich in dieser Greifswalder Zeitung recht eindrücklich: Während auf der Titelseite Kapps Bekanntmachungen gedruckt wurden, findet man wenige Seiten später einen Aufruf der Gewerkschaften zur "Arbeiter-Versammlung" – neben Anzeigen für "Kleiderstoffe" und "Elekt. Licht- und Kraftanlagen"
In Schwerin unterzeichneten SPD, USPD, KPD und das Gewerkschaftskartell am 13. März den Aufruf zum Generalstreik. Der Aufforderung, sich abends im Marstall zu treffen, folgten mehrere Tausend Menschen. Reichswehrsoldaten und Arbeiter standen sich dort zwar gegenüber, aber es blieb friedlich.
Auch in Wismar und Rostock trafen sich die Führer der Arbeiterparteien und der Gewerkschaften noch am 13. März. Sie beschlossen, die Arbeiter zu bewaffnen. Diese Entscheidung war riskant und nicht unumstritten.
Deutlich defensiver verhielt es sich in Mecklenburg-Strelitz: Hier konnte sich die SPD nicht entschließen, zum Generalstreik aufzurufen.
Der 14. März war von Gesprächen und Verhaftungen geprägt. SPD und USPD versuchten, die Soldaten der Schweriner Garnison zu überzeugen, zur Republik zu stehen. Generalmajor von Lettow-Vorbeck verstärkte seine Truppen in der Landeshauptstadt: Soldaten aus umliegenden Städten wurden nach Schwerin beordert. Aus Berlin rief er Leutnant Roßbach zu Hilfe, dessen Freikorps reaktiviert und wieder in die Reichswehr aufgenommen wurde.
Die angespannte Lage mit bewaffneten Arbeitern und Reichswehrsoldaten, die wichtige Gebäude in der Stadt besetzt hielten, entlud sich einen Tag später am so genannten blutigen Montag. Nur kurze Zeit nachdem das Foto gegen 9 Uhr in der Schlossstraße entstanden war, schossen Arbeiter und Soldaten vor der Schweriner Post aufeinander. 14 Zivilisten und 2 Reichswehrsoldaten starben.
Auch in Pommern stellten sich linke Parteien und die Gewerkschaften den Putschisten entgegen. Allerdings hatten sie unterschiedlichen Erfolg. Während es in der Großstadt Stettin schon am 14. März weder Strom noch Gas gab, konnten sich die Putschisten insbesondere im Regierungsbezirk Stralsund behaupten. So war die erwähnte "Arbeiter-Versammlung" in Greifswald, der zweiten großen Stadt im Regierungsbezirk, zunächst verboten worden. Sie fand dann doch statt, wurde aber schon gegen 10:45 Uhr von der Reichswehr wieder aufgelöst.
Es gelang den Putschisten, den Generalstreik im Regierungsbezirk Stralsund bis zum 16. März zu verzögern.
Im Verlauf des 15. März sammelten sich Kommandeure und Mannschaften des Freikorps Roßbach auf dem Flugplatz Schwerin-Görries. Und obwohl am 17. März der Putsch in Berlin gescheitert war – Kapp und Lüttwitz waren zurückgetreten – , marschierten die Roßbacher zusammen mit anderen Reichswehrsoldaten nach Wismar und besetzten die Hansestadt am 19. März. Schon auf dem Weg dorthin verhafteten und ermordeten sie mehrere Zivilisten.
Das Foto zeigt Soldaten des Freikorps nach der Eroberung in der Lübschen Straße in Wismar.
Der Vormarsch auf das nächste Zentrum der Arbeiterbewegung – Rostock – wurde letztlich nur abgebrochen, weil General von Lettow-Vorbeck vom neuen Oberbefehlshaber der Reichswehr abgesetzt wurde.
Die Kämpfe im Zusammenhang mit dem Kapp-Lüttwitz-Putsch waren in Mecklenburg besonders heftig. Insgesamt 91 Menschen starben hier auf beiden Seiten, davon 54 unbewaffnete Zivilisten. Die Ursache liegt im Aufeinandertreffen eines entschlossenen Putschistenführers auf nicht weniger entschlossene Arbeiter.
Zum Gedenken an die Toten wurden an vielen Orten Gedenksteine errichtet. Auf dem Wismarer Friedhof wurde das Denkmal am 2. April 1921 eingeweiht. Hier genau wie in Schwerin riefen SPD und Gewerkschaften bis 1933 jährlich zu Gedenkfeiern auf.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft und der Zwangsvereinigung von SPD und KPD nutzte die SED das Gedenken zur Legitimation. Ab 1955 wurden neue Denkmale errichtet. Am Anfang stand die Gedenktafel an der Schweriner Hauptpost, die am 18. März enthüllt wurde.
Das Denkmal auf dem heutigen Dietrich-Bonhoefer-Platz in Greifswald entstand ebenfalls 1955. Die Inschrift zeigt, dass sich die Situation auch in Pommern mit den Rücktritten in Berlin nicht beruhigte. Die Männer starben bei einer Demonstration drei Tage nach dem Scheitern des Kapp-Putsches.